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Die Wiedergabe dieser Veröffentlichung
aus der JURISTENZEITUNG (Heft 15/16/1967, S.457-463) an dieser Stelle erfolgt
mit freundlicher Genehmigung sowohl der Redaktion (Tübingen) vom 24.4.1998,
als der Witwe des Autors, Frau Dr. A. Fechner-Mahn, Tübingen, vom
27.4.1998. Prof. Dr. Dr. Erich Fechner leitete das Institut für Arbeits-
und Sozialrecht an der Universität Tübingen. Er war ebenfalls
Mitglied des Wissenschaftlichen Rats der Internationalen Gesellschaft für
Vitalstoff-Forschung und Zivilisationskrankheiten, wie Dr. J. G. Schnitzer,
Herausgeber der "Dr. Johann Georg Schnitzer's Geheimnisse der Gesundheit".
Wirtschaftliche Interessen (III)
und das Recht der freien Meinungsäusserung
zugunsten des Allgemeinwohls
(insbesondere in Fragen der Volksgesundheit)
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Eine rechtssoziologische Betrachtung
zugleich auch über den
Einfluss wirtschaftlicher Interessen
auf wissenschaftliche Meinungsbildung
Teil III
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von Prof. Dr. Dr. ERICH FECHNER, Tübingen
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III.
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1. Rechtssoziologische Forschung vermittelt
einen Einblick in die Methoden, mit denen wirtschaftliche Gruppen die Rechtsgestaltung
beeinflussen und zu beeinflussen versuchen. Ich habe diese Methoden in
einem voräufigen und unvollständigen Katalog erstmals auf dem
6. Internationalen Vitalstoff- und Ernährungskonvent am 9. Oktover
1960 in Baden-Baden vorgetragen (35). Zusammenfassend lassen sich drei
Hauptgruppen manipulierender Maßnahmen unterscheiden, bei denen es
sich durchweg um das Bestreben handelt, auf staatliche Instanzen einzuwirken,
um mittelbar oder unmittelbar werdendes Recht entweder bereits in statu
nascendi zu manipulieren oder geltendes Recht (auf dem Wege über Auslegung
und Rechtsprechung) in der Weiterentwicklung zu beeinflussen. Die erste
Gruppe betrifft Maßnahmen, die versuchen, auf dem Wege über
die öffentliche Meinung durch Pressesubventionen, Propaganda und Reklame
zum Ziel zu gelangen. Die zweite Gruppe betrifft die Bemühungen, durch
unmittelbare Einflußnahme auf die mit der Gesetzgebung betrauten
Instanzen (Ministerien und Abgeordnete) werdendes Recht zu gestalten. Die
dritte Gruppe enthält die Versuche, auf dem Wege über die Wissenschaft
Einfluß zu gewinnen.
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Bei der vorliegenden Betrachtung interessiert
vor allem die letzte Gruppe. Ihr kommt infolge des Ansehens, das die Wissenschaft
in der modernen Gesellschaft genießt, nicht geringere Bedeutung zu
als den beiden ersten Gruppen. Die hier bestehenden Möglichkeiten
werden infolgedessen auch in mindestens dem gleichen Maße genutzt
wie die der beiden anderen Gruppen, zumal sich hier auch Wege zur Beeinflussung
der Rechtsprechung eröffnen. Im einzelnen handelt es sich um die Subventionierung
von wissenschaftlichen Instituten und wissenschaftlichen Organisationen
(sachliche Subventionierung) sowie um das persönliche Engagement von
Wissenschaftlern in Form von Anstellungsverträgen oder auf dem Wege
über die Gutachtenpraxis (persönliche Subventionierung). Hinzuweisen
ist auch auf Organisationen, die wissenschaftlich getarnt sind ( etwa durch
einen, den angeblichen Wissenschaftscharakter der Organisation betonenden
Namen), in Wirklichkeit jedoch reine oder überwiegende Unternehmenszusammenschlüsse
und damit Interessenverbände sind.
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Es ist bekannt, daß die modernen Forschungsmethoden
vor allem auf dem Gebiete der Naturwissenschaften heute weit größere
finanzielle Mittel beanspruchen, als dies noch vor wenigen Jahrzehnten
der Fall war. Auch sonstige wissenschaftliche Veranstaltungen, z.B. Kongresse
sowie die Herausgabe wissenschaftlicher Zeitschriften u. ä., erfordern
erhebliche finanzielle Mittel sowohl in sachlicher wie in personeller Hinsicht,
die von den Organisationen meist selbst nicht aufgebracht werden können.
Diese sind infolgedessen in erheblichem Umfang auf Unterstützungen
von außen angewiesen. Es liegt nahe, daß die an der Forschung
der betreffenden Organisation mittelbar oder unmittelbar interessierten
Industrien und Wirtschaftszweige finanzielle Mittel zur Verfügung
stellen, die es den wissenschaftlichen Einrichtungen oft erst ermöglichen,
ihre Forschungsvorhaben durchzuführen. Solange solche Hilfe durch
Zwischenschaltung neutraler Stellen, z.B. der deutschen Forschungsgemeinschaft,
erfolgt, bestehen gegen solche Subventionen keine Bedenken. Sie sind vielmehr
sachgerecht und entsprechen den Bedürfnissen beider Teile. Anders
sind dagegen die Fälle zu beurteilen, in denen unmittelbare Subventionen
gewährt werden, sei es in Form von laufenden Beiträgen zu allgemeinen
Zwecken der Organisation, sei es in der Form von einmaligen Zuwendungen
zu bestimmten Zwecken (Durchführung bestimmter Forschungsvorhaben),
sei es in Gestalt von laufenden Inseratvergaben, sei es in Form von hoch
honorierten Gutachtenaufträgen, die wiederholt an Leiter oder Mitglieder
von Instituten oder Organisationen erteilt werden. Dabei kommt es auf die
Höhe dieser Subventionen im Verhältnis zum regulären Etat
der betreffenden Institutionen oder Personen nicht entscheidend an. Schon
geringfügige zusätzliche Beträge können einen Anreiz
bieten, derartige Quellen nicht versiegen zu lassen, da sie in ihrer Verwendung
meist weniger gebunden sind als die in den öffentlichen Haushalten
ausgewiesenen Zuschüsse von amtlichen Stellen. Sie weisen überdies
eine Art von Grenzwert auf, indem sie sonst nicht mehr zu befriedigende
Bedürfnisse gerade noch zum Zuge kommen lassen.
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2. Verschiedene ineinander wirkende Ursachen machen
die unmittelbare sachliche wie persönliche Subvention zu einer öffentlichen
Gefahr. Öffentliche Stellen sind bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen
wie in vielen anderen Fällen auf die Beratung durch den wissenschaftlichen
Fachexperten, auf wissenschaftliche Institute und Organisationen angewiesen.
Diese Stellen sollten dabei voraussetzen dürfen, daß sie bei
den wissenschaftlichen Instanzen unbeeinflußte, objektive Auskünfte
erhalten, die dem neuesten Stande der Wissenschaft entsprechen. Die Berechtigung
zu dieser Annahme beruht nicht nur in dem hohen Ansehen, das die Wissenschaft
in den Augen der Öffentlichkeit genießt und dessen sie sich
würdig zeigen muß. Sie ist tiefer begründet. Die freiheitlichen
demokratischen Gemeinwesen haben bestimmte Institutionen wie bestimmte
Personen mit Freiheiten ausgestattet, die anderen Staatsbürgern nicht
zukommen. Es handelt sich dabei in erster Linie um die Unabhängigkeit
der Rechsprechung und die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre.
Diese Unabhängigkeit der Rechtsprechung soll der Rechtsstaatlichkeit,
die Freiheit von Forschung und Lehre der Wahrheitsfindung dienen. Organisationen
und Personen, die diese Freiheit und die damit verbundene Autorität
im Sinne eigennütziger Interessen mißbrauchen, handeln daher
nicht nur unehrenhaft, sie verstoßen damit zugleich auch gegen die
im Wesen ihrer Stellung begründeten Pflichten gegenüber dem Staat
und der Allgemeinheit. Angesichts des Umstandes, daß staatliche Instanzen
auf die wissenschaftliche Beratung dieser, mit weitgehender Unabhängigkeit
ausgestatteten Stellen angewiesen sind, angesichts der Tatsache, daß
die Vorbereitung neuer Gesetze ohne eine sachgerechte und objektive Unterstützung
von dieser Seite schlechthin unmöglich ist, bedeutet eine Verletzung
der Pflicht zur unabhängigen, unbeeinflußten und objektiven
Beratung die Verderbnis werdenden Rechts, d. h. auf die Dauer gesehen,
die Korruption der Rechtsordnung.
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3. Dies ist die Situation auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite geht es um die Frage, ob die menschliche Natur eine
so große moralische Widerstandsfähigkeit aufweist, daß
sie durch mehrmalige oder laufende Zuwendungen, die in irgend einer Weise
auch persönliche Vorteile darstellen, weder bewußt noch unbewußt
in ihrer Wahrheitsforschung und Meinungsbildung zugunsten derjenigen, die
diese Vorteile gewähren, beeinflußt wird. Das Ansehen eines
Institutsleiters hängt nicht zuletzt auch von der Größe
und Leistungsfähigkeit seines Instituts ab. In der Forschung spielen
persönliche wie sachliche Mittel eine entscheidende Rolle. Es gibt
heute in der Bundesrepublik Institute, die ohne laufende unmittelbare Zuschüsse
von wirtschaftlichen Geldgebern in dem Umfange, in dem sie geführt
werden, nicht aufrecht erhalten werden könnten. Stellung und Ansehen
des Institutsleiters werden damit unmittelbar abhängig von diesen
Zuwendungen, die ihrerseits kaum ohne Einfluß auf dessen subjektive
Haltung bleiben, auch dann, wenn er persönlich keine unmittelbaren
finanziellen Zuwendungen erhält. Es besteht zumindest die Gefahr,
daß wissenschaftliche Feststellungen, die sich bei objektiver Auswertung
der Forschungen ergeben, entweder unterdrückt werden oder aber mit
geringerem Akzent in Erscheinung treten, wenn sie den Geldgebern abträglich
sind. Es besteht darüber hinaus die Gefahr, daß Problembereiche,
aus denen solche abträglichen Resultate zu erwarten sind, möglichst
gar nicht erst in Angriff genommen werden. Es besteht u.a. auch die Gefahr,
daß bei der Abwägung des Schädlichkeitsgrades eines bestimmten
Ergebnisses im Hinblick auf die menschliche Gesundheit, der nur selten
in exakten Zahlen zu berechnen ist, sich ein psychisches Gefälle ergibt,
dem Verharmlosungsbedürfnis der zahlenden Interessenten wohlwollend
Rechnung tragend.
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Infolge der bei uns bestehenden Neigung, nicht
diejenigen zu tadeln, die Peinlichkeiten verursachen, sondern die, die
sie öffentlich kritisieren, dringt davon nur wenig an die Öffentlichkeit.
Fälle von Meinungsunterdrückung, z.B. auch Veröffentlichungsverbote
an nachgeordnete wissenschaftliche Kräfte, werden allenfalls im vertrauten
Kreise unter dem Siegel der Verschwiegenheit besprochen. Daß sie
nicht "hinausgetragen" werden, dafür sorgt die Autorität derer,
die das berufliche Schicksal der Betroffenen weitgehend in der Hand haben.
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Das Gesagte gilt im verschärften Sinne für
die bereits erwähnte Gutachtenpraxis. Hierüber habe ich mich
schon 1960 auf dem Internationalen Vitalstoffkonvent in Baden-Baden wie
folgt geäußert: "Die Bezeichnung Unsitte muß in bestimmten
Fällen auch für Gutachten aufrecht erhalten werden, die die Interessenten
bei mehr oder weniger prominenten Wissenschaftlern gegen Entgelt bestellen.
Ich denke hier gar nicht an die krassen und wahrscheinlich seltenen Fälle
des plumpen Kaufes einer objektiv und wissenschaftlich unhaltbaren Meinung.
Ich nehme an, daß es das überhaupt nicht gibt. Ich denke folgendes:
Wenn ein Forscher seinen und seiner Familie Lebensstandard durch von Interessenten
bezahlte Gutachten fortgesetzt und laufend aufbessert, dann ist damit schon
die Gefahr einer Trübung der Objektivität gegeben. Wer sich an
die Aufbesserung seines Lebensstandards auf diese Weise gewöhnt hat,
müßte zu den Übermenschen zählen, wenn er nicht den
Wunsch hegte, seinen Auftraggebern dienlich zu sein. Solche Gutachten sind
dann bekanntlich gefährlich nicht durch das, was sie sagen, sondern
durch das, was sie verschweigen. "Ein Ministerium oder eine Abteilung in
einem Ministerium ist schlecht beraten, wenn es seine Entscheidungen auf
solche Gutachten stützt" (36). Nicht bei allen Gerichten besteht Klarheit
über den Unwert solcher gewerbsmäßig erstellter Gutachten.
Unzweideutig sagt dagegen das BVerwG, daß "nicht veröffentlichte
Parteigutachten ... in erster Linie nicht der wissenschaftlichen Klärung,
sondern der Förderung von Parteiinteressen (dienen)" (37). Noch deutlicher
berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.10.1962 von "Spekulanten,
die Waren, welche sie 100 Lire kosten, für 1000 verkaufen wollten,
und den Männern der Wissenschaft, die sie dabei ohne Skrupel unterstützten,
um hohe Verdienste einzustecken". Es gibt - in der seriösen Presse!
- weitere Berichte über ähnliche Fälle (nicht nur in Italien).
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